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von Prof. Dr. Alfred de Zayas

76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 74 Jahre nach Verkündung des Nürnberger Urteils bleibt der Holocaust ein kaum zu begreifendes Megaverbrechen, einzigartig im Nihilismus, in der missionsartigen Durchführung, in den Mechanismen der Tarnung und Geheimhaltung, schließlich in seiner Bedeutung für die deutsche Identität und seinen Implikationen über das deutsche Problem hinaus.

Eine Anzahl Studien ist darüber veröffentlicht worden, jedoch erweisen sie sich in mancherlei Hinsicht als unbefriedigend, da wichtige Fragen nicht gestellt, ungenügend untersucht oder anachronistisch interpretiert werden. Besonders umstritten ist die Frage des „Wissens“ bei den Beamten, Soldaten, bei der Bevölkerung. War der Holocaust ein „offenes Geheimnis“, wie manche Historiker postulieren ?

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Bei der Frage nach dem „Wissen“ ist das ZEIT-Forum vom 3. März 1995 einschlägig. An der Disputation hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt teilgenommen, der versicherte, dass er als Luftwaffenoffizier in verschiedenen Stäben „von der Vernichtung der Juden überhaupt nichts gewusst und gehört“ hatte. „Ich habe nach meiner Erinnerung nicht einmal Menschen mit einem gelben Stern gesehen.“ Auch die 2002 verstorbene Zeitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff beteuerte, während des Krieges auch nichts davon gewusst zu haben, obwohl sie „gute Verbindungen zu vielen Leuten hatte, die in Schlüsselstellungen standen. Die Notwendigkeit zur Geheimhaltung aber war unheimlich groß. Insofern habe ich …den Namen Auschwitz zum ersten Mal nach dem Krieg gehört.“

Die jüngsten Versuche mancher Historiker, ein breites Wissen bei der Bevölkerung zu postulieren, überzeugen nicht. Jedoch besteht die Gefahr, dass je länger der Krieg zurückliegt, es umso leichter wird, Pauschalierungen und Karikaturen als geschichtliche Wahrheit zu präsentieren, denn die Zeitzeugen sind nicht mehr da, um zu widersprechen. Jedenfalls wird die „Bewältigung“ des Themas durch die sog. Kollektivschuldthese und durch die geistige Bequemlichkeit mancher Zeitgenossen erschwert. Eine umfassende wissenschaftliche Ausarbeitung gehört nicht allein in die Hände von Historikern, sondern auch von Juristen, Soziologen und Psychologen. Vor allem müssen die Mechanismen der Geheimhaltung auch bezüglich des Völkermords an den Armeniern und bei anderen Genozide gründlicher Untersucht werden. Eine sachgerechte Bewertung steht noch an den Anfängen. Der Zusammenhang zwischen Geheimhaltung und Negationismus soll auch weiter untersucht werden.

Zum Autor:

Professor Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas ist Professor für Völkerrecht an der Geneva School of Diplomacy und war in hohen Funktionen für die Vereinten Nationen im Sekretariat für Menschenrechte tätig.

Alfred de Zayas ist Autor vieler Publikationen, wie auch des Buches Völkermord als Staatsgeheimnis  erschienen im Olzog Verlag, München 2011 – : Sein Artikel „Was wussten die Deutschen“ stellt eine Zusammenfassung von Kernaussagen aus jener Publikation dar.

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Quelle: