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I. Einführung

1. Themen im Bereich der Ökonomie und der Finanzwirtschaft stehen heute mehr denn je im Fokus unseres Interesses. Grund dafür ist der wachsende Einfluss, den die Märkte auf den materiellen Wohlstand eines großen Teils der Menschheit ausüben. Das macht einerseits eine entsprechende Regulierung ihrer Dynamiken erforderlich. Andererseits bedarf es einer klaren ethischen Grundlage, die dem erreichten Wohlstand jene Qualität an menschlichen Beziehungen gewährt, welche die wirtschaftlichen Mechanismen allein nicht hervorbringen können. Eine solche ethische Grundlage wird heute von verschiedener Seite eingefordert, besonders von jenen, die in der Finanzwirtschaft tätig sind. Gerade in diesem Bereich zeigt sich nämlich, wie notwendig die Verbindung zwischen technischem Wissen und menschlicher Weisheit ist, ohne die alles menschliche Tun zum Scheitern verurteilt ist. Wo aber diese Verbindung gegeben ist, kann es für den Menschen ein Voranschreiten auf dem Weg eines realen, ganzheitlichen Wohlstands geben.

2. Die ganzheitliche Förderung jeder Person, jeder menschlichen Gemeinschaft und der ganzen Menschheit ist der letzte Horizont jenes Gemeinwohls, das die Kirche als «allumfassendes Heilssakrament»[1] verwirklichen möchte. In diesem ganzheitlichen Wohl, dessen Ursprung und Vollendung letztendlich in Gott liegen und das in Jesus Christus, in dem alles zusammengefasst ist (vgl. Eph 1,10), vollkommen offenbart wurde, liegt der letzte Zweck allen kirchlichen Tuns. Dieses Wohl ist eine Vorwegnahme jenes Reiches Gottes, das die Kirche zu verkünden und in jedem Bereich menschlichen Wirkens aufzurichten gerufen ist[2]. Und es ist die besondere Frucht jener Liebe, die als Königsweg des kirchlichen Handelns auch im sozialen, zivilen und politischen Bereich zum Ausdruck kommen muss. Diese Liebe «zeigt sich bei allen Gelegenheiten, die zum Aufbau einer besseren Welt beitragen.

Die Liebe zur Gesellschaft und das Engagement für das Gemeinwohl sind ein hervorragender Ausdruck der Nächstenliebe, die nicht nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen angeht, sondern auch die „Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen“. Darum schlug die Kirche der Welt das Ideal der „Kultur der Liebe“ vor»[3]. Die Liebe zum ganzheitlichen Wohl, die untrennbar mit der Liebe zur Wahrheit verbunden ist, bildet den Schlüssel zum wahren Fortschritt.

3. Erstrebt wird dies in der Gewissheit, dass es in allen Kulturen zahlreiche ethische Konvergenzen gibt, die Ausdruck einer gemeinsamen moralischen Weisheit sind[4], auf deren objektive Ordnung die Würde der Person gegründet ist. In der soliden, unverfügbaren Basis dieser Ordnung, die klare gemeinsame Prinzipien bietet, wurzeln die grundlegenden Rechte und Pflichten des Menschen. Ohne diese Ordnung gewinnen Willkür und „das Recht des Stärkeren“ in den menschlichen Beziehungen die Oberhand. Diese in der Weisheit des Schöpfergottes verwurzelte ethische Ordnung ist also das unentbehrliche Fundament für den Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft, die von Gesetzen geregelt wird, deren Maßstab wirkliche Gerechtigkeit ist. Dies gilt umso mehr, wenn wir bedenken, dass die Menschen in ihrem Herzen zwar nichts mehr ersehnen als das Wohl und die Wahrheit, sich aber doch oft parteilichen Interessen beugen und zu Missbräuchen und Ungerechtigkeiten hinreißen lassen, die der ganzen Menschheit, vor allem den Wehrlosen und Schwachen, unsägliches Leid zufügen.

Um alle Bereiche des Lebens von dieser moralischen Unordnung zu befreien, die das menschliche Tun so oft in Mitleidenschaft zieht, betrachtet die Kirche es als eine ihrer vorrangigen Aufgaben, alle Menschen mit demütiger Gewissheit an einige klare ethische Prinzipien zu erinnern.

Die menschliche Vernunft, die jede Person unverkennbar auszeichnet, erfordert in dieser Hinsicht eine Unterscheidung, die Klarheit bringt. Denn schon immer sucht die Vernunft des Menschen in der Wahrheit und in der Gerechtigkeit jenes solide Fundament, auf welches sich das menschliche Tun stützen kann. Sie ahnt, dass sie ohne dieses Fundament ihre Ausrichtung verlieren würde[5].

4. Die rechte Ausrichtung der Vernunft darf also in keinem Bereich des menschlichen Tuns fehlen. Das bedeutet, dass kein Bereich des menschlichen Handelns rechtmäßig beanspruchen kann, ohne eine Ethik auszukommen oder für eine Ethik unzugänglich zu sein, die auf Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität gegründet ist[6]. Dies trifft auch auf jene Bereiche zu, in denen die Gesetze der Politik und der Wirtschaft gelten: «Im Hinblick auf das Gemeinwohl besteht für uns heute die dringende Notwendigkeit, dass Politik und Wirtschaft sich im Dialog entschieden in den Dienst des Lebens stellen, besonders in den des menschlichen Lebens»[7].

In der Tat soll jede menschliche Tätigkeit Frucht bringen, indem der Mensch großzügig und gerecht jene Gaben gedeihen lässt, die Gott ursprünglich allen zur Verfügung gestellt hat, und mit reger Zuversicht jene Samen des Guten aussät, die als Verheißung der Fruchtbarkeit in die gesamte Schöpfung eingeschrieben sind. Dieser Ruf ist eine bleibende Einladung an die menschliche Freiheit, auch wenn die Sünde immer danach trachtet, diesen ursprünglichen Plan Gottes zu vereiteln.

Das ist der Grund, weshalb Gott dem Menschen in Jesus Christus entgegen kommt. Indem er uns in das wunderbare Ereignis seiner Auferstehung hineinnimmt, «erlöst er nicht nur die Einzelperson, sondern auch die sozialen Beziehungen»[8], und wirkt auf eine neue – in Wahrheit und Liebe gegründete – Ordnung gesellschaftlicher Beziehungen hin, die fruchtbarer Sauerteig für die Verwandlung der Geschichte sein kann. Auf diese Weise gibt Christus uns schon in dieser Zeit einen Vorgeschmack auf jenes Himmelreich, das anzukündigen er selbst als Mensch auf die Erde gekommen ist.

5. Obwohl der wirtschaftliche Wohlstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überall auf der Welt in einem nie gekannten Ausmaß und Tempo zugenommen hat, ist zu bedenken, dass im selben Zeitraum die Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb der Länder größer geworden sind[9]. Auch ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, nach wie vor ungeheuer hoch.

Die jüngste Finanzkrise hätte uns die Gelegenheit bieten können, eine neue Wirtschaft zu entwickeln, die größeren Wert auf ethische Prinzipien legt und die Finanzgeschäfte neuen Regelungen unterwirft, um ausbeuterischen und spekulativen Absichten einen Riegel vorzuschieben und den Dienst an der Realwirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Wenn auch auf verschiedenen Ebenen viele positive Schritte gemacht wurden, die Anerkennung und Wertschätzung verdienen, ist ein Überdenken jener überholten Kriterien, die immer noch die Welt beherrschen, ausgeblieben[10]. Manchmal hat es sogar den Anschein, als wäre ein oberflächlicher, kurzsichtiger Egoismus zurückgekehrt, der das Gemeinwohl missachtet und nicht daran interessiert ist, Wohlstand zu schaffen und zu verbreiten oder stark ausgeprägte Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

6. Was hier auf dem Spiel steht, ist der authentische Wohlstand eines Großteils der Männer und Frauen unseres Planeten, die Gefahr laufen, immer mehr an den Rand gedrängt, ja sogar von Fortschritt und wirklichem Wohlstand «ausgeschlossen» und wie «Abfall»[11] behandelt zu werden. Denn einige wenige beuten wertvolle Ressourcen und Reichtümer aus und beanspruchen diese für sich selbst, ohne auf das Wohl des Großteils ihrer Mitmenschen Rücksicht zu nehmen. Es ist daher an der Zeit, das Augenmerk wieder auf die wahre Menschlichkeit zu richten, die Horizonte von Geist und Herz zu erweitern, um in Redlichkeit die Erfordernisse der Wahrheit und des Gemeinwohls zu erkennen, ohne die jedes soziale, politische und wirtschaftliche System am Ende zum Scheitern, zur Implosion verurteilt ist.

Wie immer deutlicher wird, macht sich Egoismus auf lange Sicht nicht bezahlt, sondern bewirkt letzten Endes nur, dass alle einen viel zu hohen Preis zahlen müssen. Wenn wir also das wirkliche Wohl des Menschen wollen, dann dürfen wir nicht vergessen: «Das Geld muss dienen und nicht regieren!»[12].

In erster Linie obliegt es den kompetenten Führungskräften, neue Wirtschafts- und Finanzsysteme einzuführen, deren Methoden und Regeln die Entwicklung des Gemeinwohls anstreben und auf dem sicheren Pfad der kirchlichen Soziallehre die Menschenwürde achten. Mit diesem Dokument möchte die Kongregation für die Glaubenslehre, deren Zuständigkeit sich auch auf Fragen moralischer Natur bezieht, in Zusammenarbeit mit dem Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen einige grundlegende Erwägungen und Präzisierungen vorlegen, die dieser Entwicklung und dem Schutz der Menschenwürde zugutekommen sollen[13].

Besonders notwendig erscheint eine ethische Reflexion über einige Aspekte der Finanzvermittlung, deren Loslösung von angemessenen anthropologischen und moralischen Grundlagen nicht nur offensichtliche Missbräuche und Ungerechtigkeiten zur Folge hatte, sondern auch Systemkrisen von weltweitem Ausmaß verursacht hat. Es geht um eine Unterscheidung, die allen Männern und Frauen guten Willens angeboten wird.

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