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Von Giuseppe Nardi und Andreas Becker.

Nicht Europa, aber zumindest die EU-Mitgliedsstaaten (noch einschließlich Großbritannien) haben ein neues EU-Parlament gewählt. Es geht, um die „Zukunft Europas“, hieß es im Vorfeld. Auch die Kirche, die sich erstaunlich massiv in den Wahlkampf einbrachte, wird über ihre Zukunft nachdenken müssen. Eine kleine, etwas andere Wahl-Nachlese und ein Ausblick auf die Zukunft Europas (nicht der EU), aber auch der Kirche. Letzteres anhand der Analyse eines laizistischen Philosophen.

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Und die Zukunft der Kirche in Europa?

In Italien haben sich zwei Politikwissenschaftler, Angelo Panebianco und Sergio Belardinelli, mit der Zukunft Europas und der Kirche befaßt. Beide, Panebianco als Katholik, Belardinelli als Laizist, sehen den freiheitlichen Rechtsstaat als größte Errungenschaft Europas. Beide sehen diesen als direktes Ergebnis der christlichen Tradition. Während Panebianco die Frage mehr unter dem geopolitischen Gesichtspunkt analysiert, geht Belardinellis Blick mehr auf den kulturellen und religiösen Aspekt ein. Beide versuchen auch einen Ausblick in die Zukunft, wie es im Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und Europa weitergehen könnte. An dieser Stelle soll vor allem Belardinellis Analyse interessieren.

Der Laizist Belardinelli legt seinen Überlegungen das Denken des jüdischen Philosophen Leo Strauß (1899–1973) zugrunde. Der Zionist Strauß schrieb bereits Anfang der 30er Jahre, daß er auf die Frage, ob er Deutscher oder Jude sei, antworten würde, er sei Jude. 1932 verließ er das Deutsche Reich ging allerdings nicht nach Palästina, sondern in die USA. Sein dort entfaltetes wissenschaftliches Wirken ging von der Grundüberzeugung eines unüberwindlichen Gegensatzes zwischen Jerusalem und Athen aus. Die noch um die Zeit Jesu akute Frage eines hellenistischen Judentums entschied er, wenn auch mit großem zeitlichen Abstand, eindeutig. Der Faktor Zeit spielte deshalb keine Rolle, weil die für ihn zentralen Wirkkräfte unverändert waren. Jerusalem steht laut Strauß für Offenbarung und Glaube, Athen für Philosophie und Vernunft. Strauß betonte zugleich allerdings, daß genau dieser Gegensatz „das vitale Geheimnis des Abendlandes“ sei.

Belardinelli schließt daraus in seinem Buch „Die katholische Kirche und Europa“, daß das große Drama unserer Zeit darin bestehe, daß dieser befruchtende Gegensatz zwischen Glaube und Vernunft aufgehört habe. Er sei erloschen, weil er sich in einer Art einvernehmlichen Arrangements aufgelöst habe. Damit aber habe sich Europa, gemeint ist das Abendland – heute allgemein Westen genannt –, seiner alles bewegenden Vitalität, seines Motors beraubt. Mit Blick auf die Athen-Jerusalem-Definition von Strauß schreibt der italienische Philosoph:

„Ein Europa, das sich von der Kirche löst und die Kirche, die sich von Europa löst, verkörpern auf paradigmatische Weise die Entleerung der ‚Vitalität‘ beider Städte“.

Die Kirche scheint zudem unter dem derzeitigen Papst „einen Großteil der Stereotype aufzugreifen, die hauptverantwortlich für die Krise Europas sind“.

Belardinelli nennt folgendes Beispiel:

„Nehmen wir einmal an, es stimme, daß das Lehramt der Vorgänger von Papst Franziskus zu sehr auf die sogenannten ‚nicht verhandelbaren‘ Werte konzentriert war wie Leben und Familie. Sind wir aber sicher, daß die nunmehrige Bevorzugung anderer Themen wie Umweltschutz, Kapitalismuskritik und Dritte Welt ein Schritt vorwärts ist? […] Ich habe den Eindruck, daß die Kritik an bestimmten Übeln, die heute durch die Kirche erfolgt, zu ‚menschlich‘ ist.“

Die „prophetische“ Bedeutung der kirchlichen Kritik an Mißständen werde dadurch abgeschwächt, wenn sie sich nicht mehr auf ihre Kernthemen bezieht, sondern sich auf das Gebiet umstrittener Fragen begebe.

„Sie erscheint dadurch zu sehr an die Logik der Welt gebunden, zu politisch und zu wenig eschatologisch.“

Die Kirche vermittle heute den Eindruck, so Belardinelli, zu sehr in einen „modischen Moralismus“ zu fallen, „dem eine Art von Unfähigkeit zugrunde zu liegen scheint, zwischen Religion, Moral und Politik unterscheiden zu können“.

Gerade die Fähigkeit dieser Unterscheidung sei aber eine der größten Errungenschaften der europäischen, sprich christlichen Zivilisation.

Zur Erklärung nennt er folgendes Beispiel:

„Wenn die katholische Kirche sich zur Trägerin eines Willkommens-Botschaft zum Schutz der Menschenwürde unabhängig von seiner Religion oder Kultur macht, verteidigt sie das Beste an der europäischen Identität. Wenn sie dies aber tut, ohne die Konsequenzen dieses Handelns zu berücksichtigen, die ein unkontrollierter Migrationsfluß für die europäischen Staaten haben kann, beweise sie einen besorgniserregenden Mangel an politischem Realitätsbewußtsein […], der von keiner anderen Seite, weder von den europäischen Institutionen noch von den Nationalstaaten kompensiert wird.

Europa erscheint dadurch wie ein Kontinent, der selbstvergessen abgleitet, und das genau in dem Moment, in dem sich auf der geopolitischen Ebene verstärkt ein Akteur in den Vordergrund drängt, für den Pluralismus und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind: der Islam. Aus islamischen Staaten kommt der Großteil jener, die an Europas Türen klopfen; islamisch ist der Terrorismus, der in den vergangenen Jahren eine blutige Spur durch Europas Städte gezogen hat; islamisch sind die Länder, die die Existenz Israels in Frage stellen.

Kurzum: Der Islam ist der Katalysator der Hauptprobleme unserer Zeit.“

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