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In seinem bemerkenswerten Vortrag von 1964 „Der Verderb des Wortes und die Macht“ hat Pieper auf den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Sprache und Wahrheit hingewiesen.

Wahrheit ist nichts anderes als der Bezug zur Realität, sagt Pieper.

Wenn die Sprache sich nicht um Wahrheit kümmert, wird sie zum gefährlichen Machtinstrument.

Pieper rollt seine Gedanken anhand der Auseinandersetzung von Sokrates und Platon mit den Sophisten auf. Diese hatten die Technik der politisch einflussreichen Redekunst im antiken Griechenland zur höchsten Raffinesse entwickelt, kümmerten sich aber nicht um den Wahrheitsgehalt dessen, was sie sagten. Mit ihrer Rhetorik konnten sie für die schlimmsten Dinge gute Gründe finden. Sokrates und Platon kritisierten die Sophisten als gefährliche Wortkünstler.

Für Pieper ist das Schlimme an der Sophistik, dass sie die Würde des Wortes verderbe.

Worin besteht denn die Würde des Wortes ?

Sie liegt nach Pieper darin begründet, dass die Sprache nichts Spezielles ist, sondern das Medium unserer gemeinsamen geistigen Existenz schlechthin. Im Wort trägt sich menschliches Dasein zu.

Die Errungenschaft und Würde des menschlichen Wortes liegt im Bezug der Sprache zur Realität und zum Mitmenschen:

Man spricht, um etwas Wirkliches kenntlich zu machen für einen Anderen. Einem Anderen soll etwas Wirkliches vor Augen gebracht werden. Diese beiden Aspekte von Sprache, ihr Realitätsbezug und ihr Mitteilungscharakter, sind zu unterscheiden, aber nicht voneinander zu trennen.

Was geschieht, wenn der Mensch lügt ?

Pieper zeigt auf, dass durch die Lüge beide Aspekte von Sprache zerstört werden, sowohl ihr Realitätsbezug als auch ihr Mitteilungs­charakter.

Die Lüge ist genau genommen keine Mitteilung.

Warum?

Wenn sich die Rede des Menschen nicht mehr nach den Sachen richtet, wenn der Bezug des Wortes zur Wirklichkeit aufgelöst ist, wird gleichzeitig auch der Mitteilungscharakter der Sprache zerstört, denn der Andere wird nicht mehr als gleichwertiger Partner anerkannt;

er wird zum Objekt, das durch Sprache in eine bestimmt Richtung gelenkt oder zu einer bestimmten Handlung gebracht werden soll.

Es handelt sich um ein partnerloses Reden.

Das Wort wird zum Mittel, um den Anderen zu manipulieren.
Dessen Würde wird verletzt. Er soll wie ein Instrument zur Funktion gebracht werden.

Der gleichwertige Bezug zum Anderen fehlt.

Deshalb ist die Lüge keine Mitteilung im eigentlichen Sinne.

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Durch die sophistische Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit findet also nach Pieper eine zweifache „Korrumpierung des Wortes“ statt:

„Verderb des Realitätsbezuges“ und „Verderb des Mitteilungscharakters“.

 

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