'..............

Paragraf 218 und „soziale Indikation“:

Das Hitler-Reich war gerade erst vorüber, da hielt der Religionsphilosoph Romano Guardini 1947 vor interessierten Ärzten ein leidenschaftliches Plädoyer für die Unantastbarkeit des ungeborenen Kindes.

Die Argumente des Vortrags sind aktuell wie am ersten Tag.

...............

Die Schwangere ist nicht „Herrin des werdenden Lebens“

Niemand, so Guardini, nicht der Staat, nicht die Gesellschaft, nicht die Familie und auch nicht die Schwangere habe das Recht, darüber zu befinden, ob ein Mensch, ob ein Embryo im Mutterleib, sein Leben behalten dürfe oder nicht. Wer beliebige soziale Indikationen formuliert, um Abtreibungen zu legalisieren, oder die Willensentscheidung der wie auch immer beratenen schwangeren Frau absolut setzt, ob ein Kind geboren werden soll oder nicht, macht sich zum Herrn über Leben und Tod.

Der Mensch, schreibt Guardini, dürfe nicht getötet werden, weil der Mensch auch im Mutterleib bereits Person ist. Er führt näher aus:

„Person ist die Fähigkeit zu Selbstbesitz und Selbst-Verantwortung; zum Leben in der Wahrheit und in der sittlichen Ordnung. Sie ist nicht psychologischer, sondern existentieller Natur. Grundsätzlich hängt sie weder am Alter noch am körperlich-seelischen Zustand noch an der Begabung, sondern an der geistigen Seele, die jedem Menschen eignet. Die Personalität kann unbewusst sein, wie beim Schlafenden; trotzdem ist sie da und muss geachtet werden. Sie kann unentfaltet sein wie beim Kinde; trotzdem beansprucht sie bereits den sittlichen Schutz. Es ist sogar möglich, dass sie überhaupt nicht in den Akt tritt, weil die physisch-psychischen Voraussetzungen dafür fehlen, wie beim Geisteskranken oder Idioten; dadurch unterscheidet sich aber der gesittete Mensch vom Barbaren, dass er sie auch in dieser Verhüllung achtet. So kann sie auch verborgen sein wie beim Embryo, ist aber in ihm bereits angelegt und hat ihr Recht. […] Die Achtung vor dem Menschen als Person gehört zu den Forderungen, die nicht diskutiert werden dürfen.“

Entschieden missbilligt der Theologe die „immer wieder aufgestellte Behauptung“, dass die Frau das Recht freier Verfügung über ihren Körper habe und deshalb die Schwangerschaft abbrechen dürfe. Die Schwangere ist aber niemals die „Herrin des werdenden Lebens“: „Die Behauptung, das Kind im Schoße der Mutter sei einfachhin ein Teil ihres Körpers, steht auf der gleichen Linie wie jene, der Mensch im Staate sei einfachhin ein Teil von dessen Ganzem. Die Gesinnung, welche der Mutter erlaubt, über das Kind, das in ihr lebt, zu verfügen, muss auch dem Staat das Recht geben, über den Menschen zu verfügen, der zu ihm gehört.“

Das Kind ist weder ein Organ der Mutter noch eine Missbildung in ihrem Körper, es reift in ihr heran, so dass sie nach neun Monaten ihrem Baby die Geburt schenken kann. Die Bedeutung dieses Schenkens darf nicht übersehen werden. Kinder sind nicht, niemals, zu keinem Zeitpunkt Besitztümer ihrer Eltern; so wurde in der römischen Antike gedacht, als der Familienvater über Leben und Tod seiner Nachkommen entscheiden konnte und die postnatale Kindstötung, also ein barbarisches Unrecht in reinster Form, geltendes Recht war.


Ein unabweisbares Wenn – dann

Guardini spricht auch von „werdendem Leben“, doch wie meint er das? Ist der Mensch nicht ganz Mensch von Anfang an? Das sieht auch Guardini so. Er begreift den Menschen als eine Ganzheit, als einen Organismus, der als „Werdegestalt“ anzusehen und von der Zeugung an bereits ganz Person ist:

„Der Bogen seiner Werdegestalt beginnt mit der Vereinigung der elterlichen Zellen, gipfelt in der morphologischen Vollendung und geht bis zum Tod. Er ist also schon Mensch im Augenblick der Empfängnis – ebenso wie er es noch im letzten Augenblick des Sterbens ist. Anders zu denken, ist konsequenterweise nicht möglich.“

Wer den Embryo im Mutterleib nicht unbedingt schützt, spricht das Menschsein auch dem alten Menschen ab. Wer den Menschen etwa nur auf dem Stadium eines physischen Optimums als Menschen ansieht, würde zugleich sagen, dass der Mensch im Alter weniger Mensch sei. Kann ein kranker oder schwacher, kann ein behinderter Mensch, ein Wachkomapatient noch auf das Menschsein Anspruch erheben? Wer das bezweifelt, weist eine Gesinnung auf, die nach Guardini „nackte Barbarei“ ist.

Weitere Indikationen – ähnlich der Schädigung der „Lebenskraft des deutschen Volkes“ durch „erbkranken Nachwuchs“ – sind sogleich denkmöglich. Wem kann, darf oder muss dann als nächstes, vielleicht sogar in scheinbar menschenfreundlicher oder mitleidvoller, doch in Wahrheit mörderischer Absicht, das Leben genommen werden? Der Mensch ist unwiderruflich Mensch, vom ersten Augenblick an und durch alle Stadien seines Lebens hindurch.

„Jede Antastung der Person bereitet den totalitären Staat vor“

Wer den Lebensschutz relativiert oder aufhebt, ob durch die Legalisierung von Abtreibung oder Sterbehilfe, der kehrt sich nicht nur von den christlichen Fundamenten des Abendlandes, sondern auch von der Vernunft ab. Der Mensch ist immer, zu jeder Zeit seines Lebens, absolut schützenswert, so lehrte Immanuel Kant in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, als ein „Zweck an sich selbst“ zu begreifen und niemals ein Mittel zum beliebigen Gebrauch.

Romano Guardini schreibt über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und Euthanasie deutlich:

„Jede Antastung der Person, vollends wenn sie unter Billigung durch das Gesetz geschieht, bereitet den totalitären Staat vor, und es spricht weder für die Klarheit des Denkens noch für die Wachheit des Gewissens, diesen abzulehnen und jenes zu bejahen.“

Klingt der katholische Denker damit nicht, auf unsere Zeit bezogen, wie ein verkannter Prophet? Wer heute Abtreibung und Euthanasie, also Formen der „nackten Barbarei“, begrüßt und befördert, mag sich dabei selbst noch so sehr als Humanist verstehen, sollte aber ernsthaft darüber nachdenken, ob er sich nicht in diametralem Gegensatz zu Art. 1 der deutschen Verfassung befindet und damit die Würde des Menschen für antastbar erklärt.

..............'

Quelle:


Siehe dazu auch:

Gedankenlos spricht man vom „werdenden Leben“, so als würde das Leben eines Menschen nicht mit der Empfängnis beginnen, sondern irgendwann später.
Die Redeweise ist nicht neu, sondern führt mitten hinein in die Neuregelung des Paragrafen 218 StGB vor nunmehr 50 Jahren.

In der griechischen und römischen Antike waren Päderastie, Abtreibung und Kindstötung etablierte Praktiken. Es war das aufkommende Christentum, das die Liebes- und Lebensverhältnisse neu ordnete und das ungeborene Leben schützte

'...............

Heute wie damals kommt es auf Kirche und Christen an

Bestimmte Formen der antiken „Kultur des Todes“, wie Päderastie, Abtreibung und Kindstötung, wurden durch den zunehmenden gesellschaftlichen, kulturellen und schließlich mit Konstantin auch politischen Einfluss des Christentums geächtet. Und in der Gegenwart?

Am 7. Juli 2022 forderte das EU-Parlament mehrheitlich, das Recht auf Abtreibung in die Grundrechtecharta aufzunehmen – ein skandalöses Votum, bezeichnend für das politische Rechtsbewusstsein eines Kontinents, der seine christlichen Wurzeln weithin vergessen zu haben scheint. Dieser Entschluss der sich für aufgeklärt, emanzipiert und fortschrittlich haltenden EU-Parlamentarier erinnert an die bis heute weithin glorifizierte Antike, mit der einzigen Ausnahme, dass aus dem antiken Männerrecht nun ein allgemeines Menschenrecht werden soll.

In der Antike trat die junge Kirche in Gestalt von Märtyrern und Christen als vernünftigste, einzig wahre Aufklärungs- und Emanzipationsbewegung der abendländischen Geschichte gegen die antike „Kultur des Todes“ auf und für die „Zivilisation der Liebe“, d. h. für den Schutz des menschlichen Lebens, ein, von der Empfängnis bis zum Lebensende. Dies wäre heute in gleicher Weise sehr nötig, denn in der neuheidnischen Postmoderne sind wir wieder umgeben von bedrohlichen Zeichen der Zeit.

Gegen die neue „Kultur des Todes“ im 21. Jahrhundert könnte derselbe Kulturfaktor wirksam werden wie in der Antike: das Christentum und damit die christliche Morallehre, die, glaubwürdig gelebt und weltoffen vertreten, als ethischer Kontrapunkt in dieser Zeit die Bürger des alten Europas über das Geschenk des menschlichen Lebens und die „Zivilisation der Liebe“ (Johannes Paul II.) neu aufklären könnte.

..............'