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Die zeitlichen Abstände zwischen Debatten über Leitkultur werden kürzer.
Die Durchsetzung normativer Vorgaben scheitert meist am mangelnden Selbstbewusstsein der einheimischen (Noch)Mehrheitsgesellschaft,
die über ihre eigene Identität im Unklaren ist.
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Wer bestimmt die Regeln ?
In den letzten Jahren wird eine Zuspitzung deutlich:
Wer bestimmt die Regeln, die die Gesellschaft zusammenhalten sollen?
Der Politikwissenschaftler Berthold Löffler, der unter Leitkultur die gemeinsam geteilte Sprache, Werte, Symbole und so fort versteht, insistiert auf einen an sich selbstverständlichen Tatbestand: „Unter den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft ist Leitkultur sinnvollerweise die gesellschaftliche Kultur der Aufnahme- und Mehrheitsgesellschaft. Unter den Bedingungen einer Leitkultur besteht dann das Integrationsziel für Einwanderer darin, ,einer von uns‘ zu werden.“
Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, bestand hingegen schon vor geraumer Zeit darauf, dass der Wertekonsens mit den Neubürgern ausgehandelt werden müsse. Assimilation ist das Schreckgespenst der Linken, die in diesem Fall mit Despoten wie dem türkischen Präsidenten übereinstimmt, der auf sein Machtpotenzial nicht verzichten will. Solche Art von Angleichung ist freilich weder gewollt noch realistisch.
Selbst der frühere CDU-Politiker und Konservative Jörg Schönbohm betonte vor Jahren, Ziel des Leitens sei nicht Dominanz.
Nicht zuletzt dem langen Schatten der deutschen Geschichte ist es zu verdanken, dass die Deutungseliten sich dem Kulturkampf um das Eigene, der besonders im Streit um die Mohammed-Karikaturen und in der Interpretation um die Regensburger Rede von Benedikt XVI. vor über einem Jahrzehnt eskalierte, kaum stellen.
Eher herrscht das unausgesprochene Motto vor: Seid nett zueinander !
Zwar wird öfter eingeräumt, dass das Zusammenleben ohne gemeinsame Sprache und minimalem Verfassungspatriotismus nicht funktionieren könne; jedoch stellt sich die Frage nach der Durchsetzbarkeit, gerade in faktisch islamisierten Stadtteilen.
Konkret ist die Lage in Regionen wie Berlin-Neukölln, Duisburg-Marxloh, Bochum, Essen-Nord in Augenschein zu nehmen. Erfahrungsberichte über die Schwierigkeiten, dem Recht Geltung zu verschaffen, liegen besonders dort in größerer Zahl vor.
Auch bei den Befürwortern einer Leitkultur ist umstritten, welche Inhalte genau darunter zu verstehen sind.
Was soll als Regulativ fungieren?
Anhänger einer prononcierten deutschen Leitkultur wie Thilo Sarrazin wollen sicherstellen, dass in 100 Jahren noch Deutsche in Deutschland leben und die „Verkehrssprache Deutsch“ verwenden. Mit Apologeten der jüdisch-christlichen Leitkultur, wie dem früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, der 2010 im „Focus“ Klartext sprach („Es gibt eine christliche Leitkultur, Herr Bundespräsident“), verbindet sie eine Sorge:
Sie halten es für eine weltgeschichtliche Katastrophe, wenn sich das eigene Volk aus seinem genuinen „Traditionszusammenhang herausreflektieren“ (Norbert Bolz) sollte.
Immerhin gab auch ein überzeugter Kulturrelativist wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele indirekt zu, dass es noch christliche Traditionsbestände gebe, die auf die allgemeine Kulturordnung ausstrahlten.
Der frühere „Grünen“-Politiker betrachtete die herkömmlichen Feiertagsregelungen als obsolet, weil sie den Islam nicht gebührend berücksichtigten. Im zivilen Festkalender fehlt beispielsweise das Zuckerfest. Ströbele mahnte eine multikulturelle Öffnung an.
Überraschenderweise stieß er auf heftigen Widerstand.
Debatten über Leitkultur werden auch in Zukunft ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen sein.
Der verstorbene Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba kehrte schon vor über zwei Jahrzehnten die existenzielle Seite des scheinbar abstrakten Themas heraus:
„Wir sind im freien Fall und überlegen: Wie schaffen wir es, dass das Ganze trotzdem funktioniert?
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wenn die Entwicklung so weitergeht:
Entweder unsere Gesellschaft verfällt in eine politische Barbarei oder aber sie erkennt, dass sie zu unserem Fundament, zum Christentum, zurückkehren muss.
Die dritte Möglichkeit ist, dass der Islam uns überrennt.“
Gibt es noch prophetischere Aussagen eines deutschen Oberhirten ?
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Quelle: